Das neuste Interview im True Spirit Blog ist nichts für Leute mit schwachen Nerven oder für Menschen, die unter Höhenangst leiden. Der 23-jährige "Highliner" Julian erzählt uns, was ihn daran fasziniert auf einem Flachband hunderte Meter tiefe Berg- und Häuserschluchten zu überqueren und warum er beim Highlinen beinah in einen meditativen Zustand gerät.
Hi Julian, kannst Du
Dich in wenigen Worten vorstellen?
Ich heiße Julian Mittermaier und komme aus Brannenburg in
der Nähe von Rosenheim. Ich bin 23 Jahre alt und studiere zurzeit Maschinenbau
in Regensburg. In meiner Freizeit bin ich gerne und viel unterwegs um neue Orte
zu sehen und neue Highlines zu machen. Wenn ich nicht auf der Highline bin
findet man mich meistens beim Klettern.
Wie bist Du zum
Seillaufen bzw. Slacklinen gekommen? Ist das eigentlich das gleiche?
Eine Freundin hat sich damals vor sechs Jahren eine
Slackline gekauft. Da bin ich das erste Mal mit dem Thema Slacklinen in
Berührung gekommen. Gut ein Jahr später stand ich auf meiner ersten Highline
und habe mich über die Jahre mehr und mehr aufs Highlinen „spezialisiert“.
Seillaufen und Slacklinen sind ähnlich, aber doch sehr
verschieden. Im Gegensatz zum runden Stahlseil (inzwischen auch oft Dyneema-Seile) der
Seiltänzer verwenden wir ein Flachband aus Polyester oder Polyamid. Während
Seiltänzer ihre Seile sehr fest spannen und bei längeren Distanzen auch
zwischendurch seitlich abspannen, wird die Slackline nur an beiden Enden
befestigt und nur wenig gespannt. Auch die klassische Balacier-Stange fällt
beim Slacklinen weg. Aus diesen Unterschieden ergeben sich natürlich eine
andere Lauftechnik, andere Tricks und einfach eine andere Herangehensweise und
Mentalität.
Was fasziniert Dich
an diesem Hobby?
Das faszinierende am Highlinen ist die Verbindung aus
körperlicher und mentaler Anforderung. Außerdem hat der
Sport in meinen Augen so viele Facetten, wie kaum ein anderer. Ich kann selbst
entscheiden, ob ich ein Gefühl ähnlich wie beim Meditieren erreichen will, oder
mich gezielt mental an meine Grenzen bringe. Des Weiteren gibt mir das Slacklinen einen Grund zum Reisen.
Ich lerne neue Länder und Kulturen kennen.
Vom Slacklinen zum
Highlinen? Wie kommt man auf die Idee in ungeheurer Höhe auf einem Seil über
einen Abgrund zu balancieren?
Ich glaube der Sprung vom Slacklinen zum Highlinen ist gar
nicht so weit, vor allem nicht wenn man schon klettert und viel in den
Bergen unterwegs ist. Da liegt es auf der Hand mal eine Highline zu spannen.
Das Internet hilft da natürlich etwas nach. Man sieht Videos von anderen
Highlinern und denkt sich: „Warum eigentlich nicht?“
Wichtig dabei ist vor allem, dass man sich davor sehr genau
mit der Materie auseinandersetzt, damit man seine erste Highline auch sicher
aufbauen kann. Am besten ist wenn man bereits einen Highliner kennnt, der einen in die Materie einführt.
Angst oder Adrenalin
– was überwiegt? Wie begegnest Du Deiner Angst?
Idealerweise sollte weder Angst noch Adrenalin eine Rolle
spielen, was natürlich nicht immer der Fall ist. Rein rational betrachtet gibt es eigentlich
keinen Grund Angst zu haben - vorausgesetzt man vertraut dem Material und hat
die Highline gewissenhaft aufgebaut. Trotzdem gibt es immer wieder Situationen,
in denen man sich nicht gegen die natürliche Angst wehren kann. Dann ist es
wichtig sich so schnell wie möglich klar zu machen, dass es dazu keinen Grund
gibt, denn nur wenn man entspannt ist, kann man die Line ruhig halten und
kontrollieren. Adrenalin spielt bei mir vor allem dann eine Rolle, wenn ich
neue Tricks auf der Line probiere und mich dadurch gezielt an einen Bereich
bringe, in dem ich die Line nicht mehr völlig unter Kontrolle habe. Aber auch
dabei ist es wichtig so gut es geht die Ruhe zu bewahren.
Bestehen eigentlich
Risiken? Wie stellst Du sicher, dass Dir nichts geschehen kann?
Wie überall im Leben gibt es natürlich Risiken. Aber im
Großen und Ganzen ist das Highlinen ein sehr sicherer Sport - vorausgesetzt man
weiß, was man tut. Befindet man sich einmal auf einer sorgfältig aufgebauten
Line, kann außer ein paar kleinen Schürfwunden im Grunde nicht mehr viel
passieren. Der gefährlichere Teil ist meiner Meinung nach, das Erreichen des
Spots und der Aufbau der Line. Da man sich hierbei häufig im alpinen Raum
bewegt, bestehen auch die Gefahren des normalen Bergsteigens und Kletterns. Um
das Highlinen sicher zu gestalten, verwenden wir jedes Teil doppelt. Anders als
bei einer normalen Line im Park, wird beim Highlinen eine zusätzliche, separat
befestigte Line (alternativ ein Seil) direkt unter der Mainline aufgebaut.
Dadurch ist man auch bei einem versagen der Mainline (Band auf dem man läuft)
noch sicher.
Kannst Du dieses
Gefühl beschreiben, wenn Du Dich zwischen Himmel und Erde befindest? Was geht
einem da durch den Kopf?
Bei mir herrschen hauptsächlich zwei verschiedene
Gefühlszustände auf der Line vor. Auf der einen Seite ist da eine komplette Ruhe
und Entspannung, die der Meditation sehr ähnlich ist. Dieses Gefühl auf der Highline
zu empfinden ist für mich sehr wichtig, da es bei mir gleichzeitig auch
Kontrolle über die Line bedeutet. Dann habe ich die Möglichkeit mich
umzuschauen und die Aussicht zu genießen.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch den etwas aufgewühlteren
Gefühlszustand, der entsteht, wenn ich neue Tricks probiere. Dabei spielt mit
Sicherheit auch Adrenalin eine große Rolle. Meine Gedanken dabei sind sehr
vielseitig, aber auch meistens sehr kurzweilig und belanglos.
Was passiert
eigentlich, wenn man vom Seil fällt und nur an der Sicherheitsleine hängt? Wie kann man sich
aus eigener Kraft wieder hoch ziehen? Wackelt da das Seil nicht unglaublich?
Wenn man in die Sicherheitsleine (Leash) fällt, ist das
nicht weiter schlimm. Entweder man nutzt den Rückschwung nach oben, den man
durch den Sturz ohnehin hat, um sich mit etwas Kraft wieder nach oben zu
ziehen, oder man stellt einen Fuß in die Leash und nutzt diese als „Leiter“ um mit relativ wenig Kraft wieder nach oben auf die Line zu kommen. Die Line wackelt dabei
hauptsächlich im Moment des Sturzes, was aber schnell wieder verebbt
und auch nicht weiter stört.
Höher, schneller,
weiter? Gibt es einen gesellschaftlichen oder gar kommerziellen Druck sich zu
immer krasseren Sachen hinreißen zu lassen? Ganz nach dem Motto „Nur die Likes
zählen“?
Wenn dann macht man sich diesen Druck nur selbst. Der
Vorteil am Highlinen ist, dass „krasser“ hauptsächlich eine noch „schönere“
Line bedeutet, wodurch aber keine größeren Gefahren entstehen.
Was war Deine
beeindruckteste Überquerung?
Das ist schwer zu sagen. Es gibt mehrere schöne Orte, an
denen ich bisher eine Line gelaufen bin.
Zu meinen Top 5 gehören sicherlich:
- eine Highline zwischen den Gasometern in Wien
- eine Highline am kleinen Törl im Wilden Kaiser
- eine Highline an der Staumauer des Lac de Mauvoisin in der Schweiz
- eine Highline im
Shenxian Ju Nationalpark in China
- eine Highline am
Großen Kamel in der Schweiz
Hast Du einen
Ratschlag für Leute die mit dem Sport beginnen wollen?
Lasst euch nicht zu schnell verunsichern. Am Anfang fällt
jeder ständig runter. Steht wieder auf und versucht es erneut, nach ein paar
Tagen wird es besser. Sucht euch Freunde, die mit euch zum Slacken gehen,
gemeinsam macht es mehr Spaß und man lernt schneller.
Welche Projekte
stehen bei Dir in Zukunft auf dem Programm?
Im Grunde bin ich immer offen für neue Lines und mache das Meiste sehr spontan. Natürlich gibt es einige Lines, die man nur mit längerer
Vorbereitung machen kann und da habe ich natürlich wieder welche im Auge. Bei
unserer letzten Line im Wilden Kaiser ist mir ein Spot ins Auge gefallen, den
ich diesen Sommer unbedingt realisieren will. Ein Besuch in Spanien und
Norweg steht auch noch aus.Die Frage ist lediglich, wann ich Zeit dazu finde.
Und natürlich: Was
ist für Dich der TRUE SPIRIT?
True Spirit ist für mich die grenzenlose Motivation an einer
Sache. Weitermachen und mit Freude an der Sache bleiben, auch wenn etwas am
Anfang unmöglich erscheint.
Lieber Julian, vielen Dank für Deine Mühen und den spannenden Einblick in Dein Leben und Deine Passion! In diesem Sinne: TSNL!
Wenn ihr mehr über Julians Projekte oder das Highlinen erfahren wollt, dann besucht Julian auf folgenden Seiten:
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen